Warum wir beim Online-Shopping lieber mehr kaufen als Versandkosten zahlen
ZÜRICH – Online-Shopping kann dazu führen, dass wir mehr Geld ausgeben als ursprünglich geplant – nicht, weil wir mehr benötigen, sondern weil wir versuchen, Versandkosten zu vermeiden. Psychologinnen und Psychologen erklären, warum wir lieber zusätzliche Artikel kaufen, anstatt ein paar Franken für den Versand zu zahlen.
Wenn der Einkaufswagen plötzlich zu klein scheint
Fast jeder kennt diese Situation: Der virtuelle Einkaufswagen ist gefüllt, der Checkout nur noch einen Klick entfernt – doch dann erscheint der Hinweis: „Noch 7 Franken bis zum kostenlosen Versand“. Viele Konsumenten entscheiden sich dann dafür, ein zusätzliches Produkt zu kaufen, das sie eigentlich nicht benötigen, nur um gratis liefern zu lassen.
Unser Gehirn hasst Verluste
Der Konsumforscher Hans-Georg Häusel erklärt dieses Verhalten mit einem tief verankerten psychologischen Mechanismus. „Versandkosten werden vom Gehirn als Verlust empfunden – man gibt Geld aus, bekommt aber kein greifbares Gut direkt dafür“, so Häusel. Dieses Phänomen der sogenannten Verlustaversion führt dazu, dass sich Menschen für ein Extra-Produkt entscheiden – weil es sich nach einem Ausgleich anfühlt.
Wirtschaftspsychologe Christian Fichter von der Kalaidos Fachhochschule Zürich ergänzt: „Kostenlos wirkt unwiderstehlich. Ein Artikel für 24 Franken plus 4.90 Versand wirkt unattraktiver als derselbe Artikel für 28.90 Franken mit kostenloser Lieferung – obwohl der Preis gleich bleibt.“
Kreative Lösungen mit kuriosen Produkten
Ein Blick in Online-Foren zeigt: Manche Nutzer füllen ihre Warenkörbe mit erstaunlich unnötigen Dingen – von Wattestäbchen über Hundeguetzli bis hin zu Kühlschrankmagneten oder nicht benötigten Ersatzteilen. Hauptsache, gratis Versand wird erreicht.
- Einige Händler wie Galaxus schlagen gezielt günstige Artikel vor, um den Bestellwert zu erhöhen.
- Versierte Käufer setzen auf Warengutscheine für spätere Einkäufe.
- Andere bestellen mehrere Kleidungsstücke und retournieren die überzähligen Artikel.
Strategie statt Zufall
Was wie eine persönliche Eigenart erscheint, ist in Wirklichkeit eine gezielte Verkaufsstrategie. Online-Anbieter profitieren stark davon, wenn ihre Kundschaft den Warenkorb leicht aufstockt. Die durchschnittliche Warenkorbgrösse steigt – ebenso wie der Umsatz.
Fichter betont: „Der psychologische Reiz ‚Gratis-Versand ab XY Franken‘ gehört zu den wirkungsvollsten Instrumenten im Online-Marketing.“ Und auch aus Händler-Sicht ergibt das Sinn: Wenn der Versand 6 Franken kostet, aber nur ein geringer Umsatz erzielt wird, bleibt kaum ein Gewinn übrig.
Wenn der Kopf über die Vernunft siegt
Dieses Verhalten ähnelt bekannten Konsum-Fallen: Beim „All-you-can-eat“-Buffet essen viele mehr als nötig, um „für ihr Geld etwas zu bekommen“. Ähnlich bei übergrossen Familienpackungen, die zwar günstiger erscheinen – aber selten vollständig genutzt werden.
Studien zeigen, dass dieser Effekt alle Gruppen betrifft – unabhängig von Alter, Geschlecht, Wohnort oder Bildung. Die Tendenz, lieber mehr zu kaufen als Versandkosten zu zahlen, scheint also universell verbreitet.
Fazit: Nachdenken spart Geld und Nerven
Ein bewusster Moment vor dem Klick auf „Bestellung abschliessen“ hilft: Benötige ich dieses Produkt wirklich, oder reagiere ich nur auf den kostenlosen Versand?
Wer ehrlich zu sich selbst ist, entlastet nicht nur sein Portemonnaie, sondern auch die Umwelt – und vermeidet Schränke voller überflüssigem Kram.