Fall Baran Can wirft Fragen zur Schweizer Asylpraxis auf
ZÜRICH/BASEL – Der Fall des 41-jährigen kurdischen Aktivisten Baran Can wirft ein kritisches Licht auf die Schweizer Asylpraxis und sorgt landesweit für zunehmende Debatten. Nachdem Can sechs Wochen im Zürcher Zentrum für ausländerrechtliche Administrativhaft (ZAA) in Ausschaffungshaft verbracht hat, droht ihm aktuell die Rückführung in die Türkei – ein Land, in dem er laut seinen Unterstützerinnen und Unterstützern systematischer Folter, willkürlicher Inhaftierung und sogar Lebensgefahr ausgesetzt sein könnte.
Trotz eines in der Türkei laufenden politisch motivierten Verfahrens lehnte das Staatssekretariat für Migration (SEM) Baran Cans Asylantrag im März 2024 ab. Während sich nationale Menschenrechtsorganisationen, politische Aktivistinnen und ein wachsender Unterstützerkreis für einen Verbleib des Kurden einsetzen, steht die Schweizer Asylpolitik erneut auf dem Prüfstand.
Graffitis in Basel: «Free Baran» – Ein Ruf nach Gerechtigkeit
In Basel sind seit Wochen an Brücken, Hausfassaden und auf öffentlichen Kunstflächen Graffitis mit dem Schriftzug «Free Baran» zu sehen. Auch das bekannte Kulturschiff Gannet wurde zum Sprachrohr für Protest. Hinter dieser Welle an Solidarität steht ein loses Netzwerk von Aktivistinnen, die seit der Festnahme im Juli für Barans Freilassung kämpfen.
Seine politischen Überzeugungen und seine familiäre Herkunft scheinen der Auslöser seiner Verfolgung zu sein: Als Sohn eines ehemaligen HDP-Abgeordneten sieht er sich seit Jahrzehnten staatlichem Druck ausgesetzt. Bereits 2007 überlebte Baran einen Messerangriff – mutmasslich verübt durch ultranationalistische Kräfte. Seitdem erhält er kontinuierlich Drohungen – ein Umstand, den Schweizer Behörden bislang unzureichend berücksichtigt haben.
Asyl verweigert, trotz konkretem Haftbefehl
Die Asylverweigerung in Barans Fall basiert laut SEM auf der Einschätzung, dass keine «aktuelle Relevanz» seiner Bedrohung bestünde. Dennoch liegt gegen ihn in der Türkei ein offizieller Haftbefehl wegen angeblicher PKK-Propaganda vor – eine Anklage, die regelmässig gegen kritische Stimmen erhoben wird.
Naomi Adotsang, Barans Anwältin, bezeichnet das türkische Verfahren als «Schauprozess mit absehbarer Verurteilung». Die angekündigte siebenjährige Haftstrafe sei nicht rechtsstaatlich begründet, sondern stehe in direktem Zusammenhang mit Barans Engagement für kurdische Belange. Dass Schweizer Behörden diese Umstände nicht ausreichend gewichten, sei laut Adotsang ein «eklatanter Bruch» mit der humanitären Verantwortung der Schweiz.
Internationale Organisationen wie Human Rights Watch dokumentieren seit Jahren, wie die türkische Regierung Antiterrorgesetze instrumentalisiert, um ethnische Minderheiten wie die Kurdinnen systematisch zu unterdrücken.
Ausschaffungshaft: Isoliert und psychisch belastet
Barans Zeit im ZAA war nach Aussagen seiner engen Vertrauten von Isolation und psychischer Belastung geprägt. «Er hat versucht, sich mit festen Tagesrhythmen und körperlicher Betätigung zu stabilisieren», berichtet Leila. Trotz solcher Strategien sei die Lage für ihn kaum auszuhalten gewesen. Besonders schwer wog der Umstand, dass es im April und Mai zu zwei Todesfällen im ZAA gekommen ist – ein Hinweis auf den enormen psychischen Druck in diesen Einrichtungen.
Obwohl der Zürcher Justizvollzug betont, dass psychologische Hilfe zur Verfügung stehe, bleibt die Kritik bestehen: Ausschaffungshaft kann für Personen mit traumatisierter Fluchtbiografie erhebliches Leid verursachen – ein Umstand, den Behörden künftig stärker in ihre Entscheidungen einbeziehen sollten.
Vorübergehende Entlassung bietet nur kurze Erleichterung
Wie erst kürzlich durch die Unterstützergruppe bekannt wurde, ist Baran Can derzeit gegen Auflagen aus der Haft entlassen und lebt bei seiner Verlobten im Kanton Jura. Vorerst – denn im November steht eine neue Anhörung an, die über seinen weiteren Verbleib in der Schweiz entscheidet. «Wir leben jeden Tag mit der Angst vor einer Rückführung», sagt Clara. Die Aufhebung der Ausschaffungshaft ändert nichts an der weiterhin bestehenden Abschiebungsandrohung.
Kritik an Schweizer Asylpraxis wächst
Der Anwalt Michel Bruelhart von der NGO Asylex spricht aus, was viele Beobachter zunehmend beschäftigt:
- «Die Schweiz weist trotz konkreter Drohungen Schutzbedürftige zurück»
- «Haftbefehle und dokumentierte Risiken werden nicht ausreichend gewichtet»
- «Besonders kurdische Asylsuchende sind überdurchschnittlich betroffen»
Damit stellt der Fall Baran Can nicht nur ein individuelles Schicksal dar, sondern bringt eine strukturelle Problematik der Schweizer Migrationspolitik ans Licht. Angesichts internationaler Verpflichtungen im Bereich Menschenrechte wird sich zeigen müssen, ob die Schweiz weiterhin ihrer humanitären Rolle gerecht wird – oder Machtkalkül über Einzelschicksale stellt.