Ökonom übt scharfe Kritik an Schweizer Nachhaltigkeitspolitik
St. Gallen – Trotz guter Platzierungen in internationalen Rankings sieht der Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner die Schweiz ökologisch auf einem gefährlichen Kurs. Im Nachhaltigkeitsindex der Yale University belegt die Schweiz 2024 den 9. Rang weltweit, doch das genügt dem Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen nicht.
„Für unsere aktuelle Wirtschaftsweise bräuchten wir zwei Planeten“, mahnt Beschorner. „Rechnerisch müssten wir jedes Jahr Ende Juli sämtliche Aktivitäten einstellen, um innerhalb der ökologischen Grenzen zu bleiben.“
Relative Fortschritte, aber keine nachhaltige Praxis
Beschorner kritisiert, dass gute Rankings häufig nur relative Fortschritte aufzeigen, während von absoluter ökologischer Nachhaltigkeit keine Rede sein könne. Die Schweiz verbrauche deutlich mehr Ressourcen, als ihr Klima und ihre Umwelt langfristig tragen könnten.
Kollektive Verantwortung gefordert
Veränderung sieht der Ethiker als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Verantwortung liege bei vielen Akteuren:
- Politik: Klare regulatorische Rahmenbedingungen schaffen
- Unternehmen: Nachhaltigkeit strukturell verankern
- Konsumentinnen und Konsumenten: Konsumverhalten überdenken
- Globale Institutionen: Strukturelle Gerechtigkeit fördern
„Es ist eine kollektive Verantwortung“, betont Beschorner. „Niemand kann sich dieser Aufgabe entziehen.“
Strukturelle Defizite bei KMU
Viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verfügen laut Studien nicht über Fachpersonal, das sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt – ein gravierendes strukturelles Manko, sagt der Professor.
Empfohlene Massnahmen: Zuckerbrot und Peitsche
Für eine effektive Transformation schlägt der Wirtschaftsethiker einen Policy-Mix aus positiven und negativen Anreizen vor:
- Subventionen für nachhaltige Technologien
- Steuervergünstigungen
- Bevorzugung bei öffentlichen Aufträgen
- Umweltabgaben
- Strengere CO₂-Regulierungen
Nur diese Kombination könne echte Veränderungen jenseits von nachhaltigkeitsorientierten PR-Strategien bewirken.
Wachsender Ressourcenverbrauch als Kernproblem
Ein besonderes Problem sei der hohe Pro-Kopf-Verbrauch an CO₂. In der Schweiz liege dieser bei rund 13,5 Tonnen jährlich – viel zu viel. „Je wohlhabender ein Land ist, desto größer sein ökologischer Fussabdruck“, so der Wirtschaftsethiker.
Das Wirtschaftswachstum verschärfe diese Dynamik, statt sie zu mildern. Beschorner hält die Idee vom sogenannten Green Growth für eine neoliberale Beruhigungspille.
Vom linearen zum zirkulären Denken
Laut Beschorner muss die Wirtschaft grundlegend reformiert werden – und zwar Richtung Kreislaufwirtschaft. Doch auch diese werde bisher oft nur oberflächlich behandelt: „Die Circular Economy kann als Feigenblatt dienen, löst aber nicht automatisch systemische Probleme.“
Individuelle Verantwortung bleibt zentral
Trotz globaler und struktureller Herausforderungen betont der Ethik-Professor die Rolle des Einzelnen. Jede Organisation und jede Person habe eine eigene Sphere of Influence, die sie nutzen könne.
„Wenn ich mit meiner Arbeit Menschen dazu bringe, außerhalb ihrer gewohnten Denkmuster zu handeln, dann habe ich meinen Beitrag geleistet“, erklärt Beschorner.
Fazit: Nachhaltigkeit zur Chefsache machen
Nachhaltigkeit darf laut dem Experten nicht länger ein Nebenthema sein. Sie müsse auf Unternehmens- und Regierungsebene zur Priorität werden – aber ebenso im Alltag der Menschen fest verankert sein.
Nur durch zielgerichtetes gemeinsames Handeln könne ein echter Wandel gelingen.