Justiz ermittelt nach Balkonsturz eines autistischen Kindes in Aarau
In Aarau-Rohr kam es kürzlich zu einem dramatischen Zwischenfall: Ein vierjähriger autistischer Junge stürzte vom Balkon eines Mehrfamilienhauses im vierten Stock. Der Vorfall wirft nun rechtliche Fragen auf, denn die Staatsanwaltschaft Aargau untersucht, ob die Mutter ihre Aufsichtspflicht verletzt haben könnte.
Der Junge durchbrach beim Sturz eine Plexiglasscheibe und fiel auf den Asphalt. Er erlitt schwere Verletzungen und wird derzeit im Kinderspital Zürich behandelt. Der Gesundheitszustand des Kindes scheint sich laut Angaben der Mutter langsam zu stabilisieren.
Einzelfall mit speziellen Umständen
Die Ermittler befassen sich besonders mit den Anforderungen, die der Autismus-Spektrumszustand des Kindes an den elterlichen Schutz stellt. Dabei steht im Mittelpunkt, ob die Mutter ausreichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat.
Rechtsanwalt André Kuhn erklärt:
- Eine Verletzung der Aufsichtspflicht ist nur strafbar,
- wenn eine rechtliche Pflicht zur Handlung bestanden hat,
- die Gefahr voraussehbar war,
- und der Unfall verhindert werden konnte.
Nur wenn alle drei Punkte erfüllt seien, könne eine strafrechtliche Verantwortung festgestellt werden.
Türgriff entfernt – Sicherheitsmassnahme oder Fehler?
Ein weiterer unumgänglicher Aspekt der Untersuchung ist der Zustand des Balkons. Erste Erkenntnisse zeigen, dass der Türgriff entfernt wurde – eine gängige Vorsichtsmaßnahme zum Schutz kleiner Kinder. Verschiedene Aussagen deuten jedoch darauf hin, dass die ältere Schwester des Jungen den Griff möglicherweise verwendet hat, um Zugang zum Balkon zu erhalten. Der Junge soll ihr gefolgt sein.
Mutter versuchte Eingreifen – erfolglos
Die Mutter berichtet, sie habe noch versucht, ihren Sohn vom Klettern auf das Balkongeländer abzuhalten. Der Junge sei jedoch besonders neugierig, stark und liebe es zu klettern – Verhaltensweisen, die bei Kindern mit Autismus häufiger auftreten.
Rechtliche Konsequenzen möglich
Gegenwärtig wird wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt. Sollte sich der Verdacht bestätigen, könnten Konsequenzen von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren drohen.
Jedoch betonen Experten, dass Gerichte in besonders tragischen Fällen – in denen Eltern bereits durch das Leiden ihres Kindes stark betroffen sind – häufig auf zusätzliche Strafen verzichten. Anwalt Kuhn sagt: „In besonders tragischen Fällen kann das Verfahren eingestellt werden, um die Betroffenen nicht übermäßig zu belasten.“
Elterliche Verantwortung im Fokus
Der Vorfall wirft ein Schlaglicht auf die besondere Verantwortung von Eltern mit Kindern mit speziellen Bedürfnissen. In der rechtlichen Bewertung werden Alter, Entwicklungsstand und individuelle Eigenschaften des Kindes einbezogen – was zu komplexen Einschätzungen führt.
Der Sturz des Jungen beschäftigt nicht nur die Aargauer Justiz, sondern auch Fachleute und die Öffentlichkeit weit über die regionale Grenze hinaus. Themen wie kindlicher Schutz, Inklusion und familiärer Alltag mit einem autistischen Kind stehen dadurch verstärkt in der öffentlichen Diskussion.
Nach dem Unfall wurde der Junge per Rega-Helikopter in das Kinderspital Zürich gebracht. Nun hoffen die Familie, Mediziner und Öffentlichkeit auf eine vollständige Genesung sowie auf mehr Klarheit über die juristische Zukunft dieses tragischen Falls.