Wenn Kauen zur Qual wird: Was hinter Misophonie steckt

0
22

Wenn Kauen zur Qual wird: Was hinter Misophonie steckt

Ein gemeinsames Abendessen mit Familie oder Freunden ist für viele ein Moment der Entspannung. Doch für manche Menschen wird genau dieser Moment zur psychischen Belastung – durch Kauen, Schmatzen oder das rhythmische Tippen auf einer Tastatur. Wer bei solchen Geräuschen starke negative Emotionen wie Wut, Ekel oder Panik empfindet, leidet möglicherweise an Misophonie – einer bislang wenig bekannten, aber zunehmend ernster genommenen Störung.

Misophonie – wörtlich übersetzt „Hass auf Geräusche“ – beschreibt eine neurologische Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten akustischen Reizen. Betroffene erleben dabei nicht nur Nervosität, sondern intensive emotionale Reaktionen wie Aggressionen oder Angstattacken. Besonders häufig werden dabei folgende Geräusche genannt:

  • Essgeräusche
  • Das Klicken eines Kugelschreibers
  • Rascheln von Papier
  • Atmen anderer Menschen

Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass bei Menschen mit Misophonie der vordere Inselkortex – der für emotionale Verarbeitung zuständige Teil des Gehirns – überdurchschnittlich aktiv ist. „Diese Reaktionen sind nicht eingebildet. Das Gehirn kann störende Geräusche nicht filtern oder neutral interpretieren“, erklärt Anne Möllmann, Psychotherapeutin und Leiterin einer Langzeitstudie an der Universität Bielefeld.

Besonders häufig empfinden Betroffene Geräusche von engen Bezugspersonen als belastend, was zwischenmenschliche Konflikte verstärken kann. Laut einer gross angelegten Online-Umfrage zeigen die meisten Betroffenen erste Symptome bereits im Kindes- oder Jugendalter. Ohne Intervention verstärkt sich die Problematik häufig im Laufe der Zeit.

Behandlung und Strategien bei Misophonie

Eine vollständige Heilung gibt es bisher nicht, aber verschiedene Therapieansätze zeigen positive Wirkung. Dazu gehören unter anderem:

  • Kopfhörer mit Geräuschdämmung im Alltag
  • Beruhigende Klangkulissen wie weisses Rauschen
  • Kognitive Verhaltenstherapie zur Veränderung der Reaktionsmuster
  • Entspannungstechniken wie Achtsamkeit oder progressive Muskelentspannung

In schweren Fällen kann die Misophonie sogar zu sozialer Isolation führen. Studien des Misophonia Institute in den USA belegen, dass es manchmal zu einer Verbindung mit Essstörungen kommen kann. Fachleute schätzen, dass etwa fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sein könnten – mit steigender Tendenz.

Fazit

Misophonie ist keine harmlose Marotte oder übertriebene Sensibilität – sie ist eine ernsthafte neurologische Störung. Wer sich durch alltägliche Geräusche stark belastet fühlt oder emotionale Kontrollverluste erlebt, sollte das ernst nehmen. Fachliche Hilfe und individuell abgestimmte Strategien können die Lebensqualität deutlich verbessern. Der erste Schritt besteht im Anerkennen der eigenen Symptome und dem aktiven Suchen nach Unterstützung.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein