Zwischen Hitze und Einsamkeit: Jacqueline Zünds Filmdrama feiert Premiere in Locarno

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Zwischen Hitze und Einsamkeit: Jacqueline Zünds Filmdrama feiert Premiere in Locarno

Locarno – Mit ihrem neuen Drama „Don’t let the Sun“ setzt die Zürcher Regisseurin Jacqueline Zünd ein eindrucksvolles cineastisches Zeichen. Sie thematisiert eine überhitzte Welt, in der Isolation, emotionale Distanz und käufliche Nähe zur bedrückenden Normalität werden. Der Film feierte am Mittwochabend beim renommierten Locarno Film Festival seine Weltpremiere – ein eindrucksvoller Auftakt, der Dystopie und Realität auf beklemmende Weise verbindet.

Eine Welt der Hitze und Stille

Zünd entwirft ein düsteres Zukunftsszenario: Die Temperaturen steigen unerbittlich, Berührungen werden zur Ausnahme, Beziehungen erstarren unter der Last der klimatischen Bedingungen. Nähe wird nicht mehr gelebt, sondern organisiert – sogar vermietet. Wer Einsamkeit fürchtet, bucht sich einen Freund. Inspiriert wurde dieser Gedanke durch das „Rental Family“-Phänomen aus Japan.

„Je heisser es wird, desto unwohler fühlen wir uns – das verändert unser soziales Verhalten“, erklärt die Regisseurin. Intensive Recherchen am Arabischen Golf, etwa bei Temperaturen über 50 Grad Celsius, hätten sie geprägt. Dort beeinflusste die Hitze nicht nur das Film-Equipment, sondern auch das Miteinander des Teams. „Hitzemüdigkeit ist real“, betont Zünd. „Und sie macht etwas mit der Sprache, der Nähe zwischen Menschen.“

Reduktion als Stilmittel

Der Film setzt auf bewusste sprachliche Reduktion und minimalistischen Ausdruck. Viele Szenen bleiben still, lediglich durch Atemgeräusche, schwitzende Körper oder das monotone Summen von Klimaanlagen unterbrochen. Die fast stumme Erzählweise erinnert an den Stummfilm – eine künstlerische Entscheidung, die die emotionale Leere eindrucksvoll unterstreicht.

Zwischen roher Nähe und echter Verbindung

Ein besonderes Highlight des Films ist eine Szene, in der eine Gruppe Männer sich nachts zu intensiven Umarmungen zwingt – roh, zärtlich, aggressiv. „Diese Bilder sollen provozieren“, sagt Zünd. Sie zeigen, dass das Miteinander nicht mehr selbstverständlich ist, sondern erarbeitet werden muss.

Doch der Film spart auch die Hoffnung nicht aus. In einer zentralen Geschichte lehnt sich ein Kind gegen die Illusion seiner gemieteten Familie auf und sucht nach echter Verbindung. So entsteht ein Kontrast aus emotionaler Wärme und klimatischer Kälte, feinfühlig ins Bild gesetzt.

Ein fragmentierter Titel mit tiefer Bedeutung

Der Titel „Don’t let the Sun“ bleibt bewusst unvollständig – in Anlehnung an den Song „Don’t Let the Sun Catch You Crying“. Dieser fragmentierte Titel betont die Unvollständigkeit des Lebens ohne wahre Beziehungen.

Premiere in Locarno: Ein Ort der Kontraste

Für Jacqueline Zünd war Locarno der perfekte Ort, um ihren Film vorzustellen. „Wenn wir schon über Hitze sprechen, darf’s hier auch heiss sein“, sagt sie mit einem Lächeln. Nach der Premiere suchte sie sich Abkühlung im Wasser – zumindest symbolisch als Gegenpol zum emotionalen Klima des Films.

Mit „Don’t let the Sun“ präsentiert Zünd nicht nur ein Filmkunstwerk, sondern auch einen gesellschaftlichen Kommentar zur Klimakrise und deren Auswirkungen auf die menschliche Verbundenheit. Es bleibt die zentrale Frage: Wie viel Hitze erträgt eine Gesellschaft, bevor sie sich selbst entfremdet?

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